Sind Geschäftsreisen tot? Nein, aber nachhaltig sollen sie sein!

Aus einem exotischen Wunsch wird eine gesellschaftliche Forderung: Nachhaltigkeit wird für Hotels immer wichtiger, wie Till Runte beobachtet. Er zertifiziert seit über 10 Jahren Hotels, mittlerweile mit seinem unabhängigen Prüfinstitut, für Geschäftsreisende und benennt im Interview Chancen dieses Wandels. Dafür müssten Hoteliers nicht unbedingt viel Geld investieren.

Herr Runte, wie wurden Hotels und deren Zertifizierung zum Mittelpunkt Ihrer Arbeit?

Ich habe als Leiter einer Kongress- und Marketingagentur in Berlin viel mit Hotels und Veranstaltungen zu tun gehabt und mich etwa bei Meeting Professionals International (MPI) oder Veranstaltungsplaner.de eingebracht. Im Jahr 2010 wollte der Verband Deutsches Reisemanagement VDR seine Hotelzertifizierung ausgliedern und ich erhielt mit Kurt Schüller den Zuschlag. Im Mai 2011 gründeten wir Certified – damals noch unter dem Namen BTME Certified für Business Travel Meetings und Events. Nach drei Jahren habe ich als alleiniger Gesellschafter übernommen, dann gab es auch den neuen Namen Certified Das Kundenzertifikat.

Wie hat sich das Konzept seit der Gründung gewandelt?

Den Grundstein legte der VDR auf Anfrage der Mitglieder mit einem neu entwickelten Kriterienkatalog. Neben den Sternen sollte es eine neue verlässliche Qualität geben. Wir fingen mit der Business Hotelzertifizierung an und erweiterten die Segmente und Bereiche stetig weiter. Genauso wie unsere Kriterienkataloge. Zurzeit bieten wir sieben erstklassige Qualitätszertifikate, aus der Praxis für die Praxis, in den Bereichen Hotel, Nachhaltigkeit, Serviced Apartment und Event Locations. Weitere Qualitätszertifikate werden hinzukommen, wir entwickeln uns stets weiter und prüfen neue Bereiche.

Wie werden Hotels geprüft?

Die Prüfung fängt mit einer gründlichen Vorbereitung der Hotels an, welche durch unser Projektteam unterstützt wird. Das Hotel erhält den Prüfkatalog, nimmt eine Selbsteinschätzung vor und reicht alle benötigten Nachweise bei uns ein. Ist die Vorbereitung abgeschlossen wird ein Prüfer zugewiesen und die Prüfung findet, je nach Umfang, 1-2-tägig vor Ort statt. Unsere Prüfer sind Praktiker, die als Traveloder Eventmanager in den Firmen wissen, worauf es wirklich ankommt. Am Tag der Prüfung begeht der Prüfer mit dem Verantwortlichen des Hauses alle relevanten Hotelbereiche ab und füllt den Prüfkatalog aus. Der Prüfer geht auf diesem Rundgang gerne auf Besonderheiten ein, fragt aktiv nach und prüft die Gegebenheiten. Diese gründliche Begehung endet in einem Tagungsraum, in welchem die noch offenen Punkte aus dem Prüfkatalog bearbeitet werden, Dokumente gesichtet und Fragen besprochen werden. Unsere Prüfer agieren unabhängig, objektiv und transparent, so dass am Ende des Tages das Ergebnis bereits feststeht. Hat das Hotel die Prüfung bestanden so wird anhand der erreichten Punktzahl das Ergebnis „Gut“, „Sehr Gut“ oder „Exzellent“ verkündet.

Und was sind die Kriterien?

Wir haben verschiedene Siegel und entsprechende Kriterien. Angefangen haben wir mit den Siegeln Certified Business Hotel und Certified Conference Hotel. Beim Businesshotel geht es um Geschäftsreisende und beim Konferenzhotel um Anforderungen im Tagungsbereich. Unser anerkanntes Zertifikat für die Nachhaltigkeit, das Certified Green Hotel, stützt sich auf drei Säulen der Ökologie, Ökonomie und die sozialen Aspekte. Am Anfang ging es besonders um Mülltrennung, energetische Sanierung oder die Vermeidung von Kleinverpackungen. Doch nun geht es verstärkt auch um soziale Aspekte wie faire Entlohnung und Wertschätzung. Das sind Themen, die jetzt auch beim Fachkräftemangel entscheidender werden.

Damals war Nachhaltigkeit noch kein so großes Thema, oder?

Ja, es gab teilweise sehr zarte Anfänge. Manche haben eine grüne Meeting-Pauschale eingeführt und dann einen grünen Apfel auf den Tisch gelegt. Das war’s, sonst blieb alles gleich. Das hat sich in den letzten Jahren enorm gewandelt und weiterentwickelt. In sehr vielen Hotels hat ein großes Umdenken stattgefunden welches durch unsere Zertifizierung sichtbar gemacht wird. Mittlerweile geben große Institutionen und Firmen das Thema Nachhaltigkeit als Vorgabe an die Hotels und fordern eine anerkannte Zertifizierung zum Nachweis. Hier kommen wir ins Spiel und unterstützen die Hotels auf diesem Weg bis hin zur erfolgreichen Zertifizierung. Der größte Mehrwert unserer Arbeit ist die dadurch entstehende positive Auswirkung auf die Umwelt.

Wie werden die Kriterien angepasst?

Hauptsächlich ziehen wir unsere Erkenntnisse aus dem Expertenwissen unserer Prüfenden, die aus verschiedenen Branchen kommen. Wir haben welche aus dem Automobil-Bereich, Banken und Versicherungen, aber auch Pharma, Beratungsunternehmen und die öffentliche Hand sind vertreten. Da spiegelt sich eine ganze Bandbreite von Anforderungen wider. Wir sammeln dann Fragen, diskutieren und überarbeiten den Kriterien-Katalog. Bei anderen Prüfverfahren mag es sein, dass immer der gleiche Prüfer immer das gleiche abfragt. Aber wir haben immer neue Aspekte, wenn wir alle drei Jahre vor Ort sind. Eine Sache war zum Beispiel, dass wir eingeführt haben, dass Matratzen einen Milbenschutz bekommen sollen – dem ist auch die Dehoga gefolgt, inzwischen ist das eigentlich überall Standard.

Ist es nicht gerade als Hotel schwierig, sich ständig zu wandeln?

Bei der Prüfung zeigen wir den Hoteliers auf, was ein Kunde sich heute wünscht. Je mehr man davon erfüllt, desto besser. Das zeigt sich auch am Ergebnis, bei dem wir zwischen gut, sehr gut und exzellent unterscheiden. Man besteht die Prüfung aber auch, ohne alles zu erfüllen: 15 bis 25 Prozent der Kriterien sind ein Muss.

Brauchen Verbesserungen immer ein großes Budget?

Manchmal braucht es nur ein Umdenken. Ein Beispiel aus dem Conference Bereich ist, dass für Rückfragen zwei Ansprechpartner genannt werden, damit die Eventmanager sicher jemanden erreichen. Bei Nachhaltigkeit hat es oft mit der Einstellung zu tun und der Kommunikation: Man kann ganz charmant und mit wenig Aufwand in einer Speisekarte erklären, woher die Produkte kommen, und damit beim Gast ein Bewusstsein dafür schaffen.

Können Hotels bei dem ständigen Gästewechsel überhaupt nachhaltig sein?

Viele Hotels verzeichnen 1,8 Nächte pro Gast, das bedeutet einen hohen Wasch- und Reinigungsaufwand. Es ist ein Trend, der nach der Pandemie geblieben ist, dass viele Hotels nur noch auf besonderen Wunsch der Gäste täglich reinigen. Ein Aspekt von Nachhaltigkeit ist auch, dass Kosten gespart werden: Es braucht weniger Personal und Reinigungsmittel. Wichtig ist, einen offenen und selbstkritischen Blick auf die eigene Situation zu werfen. Da geht es auch um Fragen, die sich viele Privathaushalte stellen: Welches veraltete Gerät sollte ausgetauscht werden, woher bekomme ich meine Lebensmittel und brauche ich wirklich die Erdbeeren im Winter? In der Energiekrise denken viele an Einsparungen, aber wie nachhaltig sind die Bemühungen? Auch der Gesetzgeber sagt inzwischen, dass wir aktiv werden müssen für den Klimaschutz. Unternehmen müssen etwa im Rahmen der sogenannten EU-Berichtspflicht verstärkt darauf achten, wo sie CO2 produzieren und das hat Auswirkungen auf das Reisen. Das galt ursprünglich nur für größere Unternehmen, wurde aber auf den Mittelstand übertragen und wird auf die gesamte Wirtschaft ausstrahlen. Die öffentliche Hand hat zum Beispiel beschlossen, dass für Behörden ab 2024 nur noch Hotels empfohlen werden, die über ein grünes Zertifikat verfügen. Es steigt der Druck, sich zertifizieren zu lassen. Wir verzeichnen eine steigende Nachfrage.

Sie haben sich mit Certified auf Geschäftsreisen spezialisiert – sind die angesichts zunehmenden
Homeoffice noch gefragt?

Der digitale Kontakt per Teams oder Zoom ist eine zusätzliche Chance und gewisse Termine werden sicherlich online weiter durchgeführt. Aber der Wunsch nach Nähe und persönlichem Austausch ist da, deshalb sind Veranstaltungen gerne wieder in Präsenz angenommen worden. Mit Sicherheit wird durch das gestiegene Preisniveau die Sensibilität steigen, ob eine Reise notwendig ist. Doch dann gibt es einen Nachholeffekt, den gab es auch nach den Corona-Einschränkungen. Und auf der anderen Seite gibt es mehr Menschen, die im Homeoffice von unterwegs arbeiten können. Meine Empfehlung wäre für größere Hotels, einige Zimmer mit größerem Arbeitsbereich anzubieten, gut ausgestattet mit bequemen Schreibtischstuhl, gut zugänglichen freien Steckdosen und ausreichender Beleuchtung. Das kann man auch aktiv vermarkten.

Kann Certified auch für Privatkunden ein Wegweiser sein?

Selbstverständlich, bei vielen unserer Kriterien geht es um Qualität und Ausstattung, was auch für Privatreisende relevant ist. Ich möchte gut und sauber schlafen können und es sollte hygienisch einwandfrei sein. Das Thema der Nachhaltigkeit hat das Buchungs-und Reiseverhalten auch von Privatreisenden verändert. Es wird ganz genau hingeschaut, inwieweit das Hotel sich engagiert und was es umsetzt und anbietet. Wir blicken dafür auch hinter die Kulissen. Können Sie selbst noch unbeschwert in Hotels übernachten? Man guckt schon anders und ist aufmerksamer. Aber ich bin immer positiv gestimmt, denn ich liebe diese Branche. Auch wenn das Fachkräftemangel ein großes Thema ist, durch eine freundliche Atmosphäre im Hotel kann so viel aufgefangen werden. Um gezielt aus der Praxis zu berichten: positiv überrascht wurde ich im Rahmen unseres während der Pandemie entwickelten Hygienetests. Da haben wir gezielt geschaut, wie die Keimbelastung ist und überwiegend sehr niedrige Verschmutzungsgrade vorgefunden. Natürlich gibt es auch Herausforderungen, diese sehe ich gezielt in der Küche, da gibt es einige kritische Oberflächen wie Griffe und Schalter. Da macht es mir Sorgen, dass zunehmend das Fachpersonal fehlt.

Es gibt diverse Zertifikate, was unterscheidet Certified von anderen?

Wir verfügen über 10 Jahre fundierte Facherfahrung. Als einziges Prüfinstitut bieten wir die Kombination von Nachhaltigkeit & Business & Conference an, was den Hotels zu einer noch besseren Positionierung verhilft. Durch unsere anerkannten Zertifikate verleihen wir den Hotels bessere Sichtbarkeit. Wir denken vom Kunden, Gast und Verbraucher her. Unser ausgereiftes Prüfsystem spiegelt dem Hotel immer die Ist-Situation wider und gibt die Möglichkeit und den Anreiz sich stetig zu verbessern. Wir haben eine starke Community, in der man miteinander voneinander lernen kann. Attraktives Marketing und starke Partnerkooperationen runden unser Angebot ab. Ein Highlight ist der jährliche Certified Star-Award welcher den Hotels eine gelungene Plattform zur Präsentation bietet. Denn unser Zertifikat ist auch ein Anlass, die eigene geprüfte Qualität in die Welt zu tragen.

Zur Person:

Till Runte ist Jahrgang 1966 und hat Betriebswirtschaftslehre in Berlin studiert. 2001 übernahm er eine Kongress- und Marketingagentur in Berlin und leitete sie zehn Jahre lang. Im Rahmen dieser Tätigkeit hatte er viel mit Hotels und Veranstaltungsorganisation zu tun und wurde Mitglied verschiedener Verbände. Nach der Rückkehr in seine Heimat Rheinland-Pfalz beschäftigt er sich seit 2011 mit der Certified Hotelzertifizierung und übernahm 2020 alle Rechte vom VDR. Certified Das Kundenzertifikat GmbH & Co. KG hat knapp 200 Hotels zertifiziert.